Achtsamkeit individuell gestalten

Wir erleben seit März 2020 eine globale und nationale Katastrophe in Form der Pandemie Covid 19. Das hat massive Folgen für unsere psychische Gesundheit, wie diverse wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Achtsamkeit kann dabei helfen. (Download des Handouts für den "Never Lunch Alone"-Achtsamkeits-Workshop des Mentoring-Programms "Aufstieg in Unternehmen" am 07.04.2021)

Wir erleben seit März 2020 eine globale und nationale Katastrophe in Form der Pandemie Covid 19. Das hat massive Folgen für unsere psychische Gesundheit, wie diverse wissenschaftliche Untersuchungen zeigen.

  • Die Nachfrage von Erwachsenen nach psychotherapeutischer Hilfe ist seit März 2020 um 40 % gestiegen - bei Kindern und Jugendlichen sogar um 60 %. Bereits vor März 2020 war Deutschland hinsichtlich des Angebots von Psychotherapeuten unterversorgt. Die erfragte Hilfe kann vom System also nicht erbracht werden.
  • Das Risiko an einer depressiven Verstimmung zu leiden, wurde durch die Pandemie (altersabhängig) um bis zu 75 % erhöht. Je jünger der Mensch desto höher ist das Risiko. Frauen haben im Vergleich zu Männern ein leicht höheres Risiko. (Dies wird einer von den Forschern beobachteten Rückkehr zur konservativen Rollenverteilung in der Familie und der damit verbundenen Doppelbelastung von Frauen zugeschrieben.)
  • Die Deutschen befürchten in erster Linie, durch die Pandemie ihnen nahestehende Menschen an die Krankheit zu verlieren. Etwas weniger  fürchten sie um die eigene Gesundheit. Sie haben auch Angst vor finanziellen Verlusten und vor dem Arbeitsplatzverlust. Diese Ängste treten aber hinter der Angst vor Verlust der Nahestehenden oder des eigenen Lebens und der eigenen Gesundheit zurück.
  • Wer Maßnahmen gegen die Pandemie als sinnvoll erachtet, empfindet sie als weniger belastend.

Dabei ist unsere Gesellschaft (noch immer mehrheitlich) von einem Anspruch auf Leistung gegenüber den einzelnen Menschen geprägt:  Vor allem für die Leistung bekommen Individuen soziale Anerkennung und Zuneigung. Die Toxizität dieser Haltung wurde schon vor der Pandemie deutlich. In der Katastrophensituation funktioniert dieses Leistungsprinzip jedoch gar nichtmehr und verschlimmert die Lage massiv. Denn hier wird die Leistungsfähigkeit der einzelnen Menschen und die der Organisationen durch die Katastrophe eingeschränkt und/oder ganz verhindert. Das führt jedoch nicht dazu, dass das Leistungsprinzip durch ein anderes, passenderes Wertungsprinzip abgelöst würde. Wir bewerten Menschen weiterhin gesellschaftlich nach denselben Prinzipien. Dabei löst die Katastrophe selbst bereits starke existenzielle Ängste um Leib und Leben aus. Die Katastrophe ist für sich genommen bereits eine Belastung, unsere Leistungsgesellschaft kann damit nicht umgehen. Denn es fehlt durch die Leistungsminderung die Wertschätzung durch das soziale Umfeld und durch das Individuum selbst. Es stellt sich sofort eine hohe Unzufriedenheit ein. Ständig den Eindruck zu haben, „zu wenig“ zu leisten und den „Ansprüchen nicht gerecht zu werden“ schwächt kontinuierlich das Selbstwertgefühl und die Resilienzfähigkeit des betroffenen Menschen. Das gilt für Mitarbeiter und Führungskräfte ebenso wie für ihre Familien.

Werkzeuge, die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu erhalten

  1. Verinnerlichen, dass in einer Katastrophe katastrophale Ergebnisse (auf allen Ebenen) völlig normal sind. => Anspruchshaltung ändern!
  2. Achtsamkeit erlernen und anwenden => Selbstfürsorge betreiben und Verhältnisse ändern!
  3. Die Selbstwirksamkeit des eigenen Handelns herstellen. => Fokus auf das richten, was unter eigener Kontrolle ist
  4. Kontrolle durch Informiertheit (ggf. Medienkompetenz schulen) => seriöse Quellen als Informationsquelle nutzen

ACHTSAMKEIT

Achtsamkeit

Was ist das?

Achtsamkeit = wertungsfreie Wahrnehmung des Hier und Jetzt auf allen Ebenen und in Bezug auf das ganze eigene Sein.

Das heißt, es geht gerade nicht darum, sich einfach nur auf etwas zu konzentrieren - obwohl die Konzentration auf eine bestimmte Körperfunktion eine Hilfestellung sein kann, achtsam mit sich zu sein. Sondern es geht darum, inne zu halten und aus dem unbewusst-automatischen Reagieren herauszutreten, um die eigenen Fähigkeit zur Selbstregulation nutzen zu können. Achtsamkeit führt zu Bewusstmachung und führt zu Kontrolle der eigenen Gefühlswelt und des eigenen Handelns. Erst durch das wertungsfreie Beobachten wird mensch in die Lage versetzt, das eigene Tun und die eigene Gefühlswelt in angemessener Weise zu den äußeren Umständen (Umweltbedingungen) ins Verhältnis zu setzen und neu zu bewerten.

Der Nutzen von Achtsamkeit liegt nicht nur in der Übung selbst, sondern auch in dem Veränderungspotential.

Achtsamkeit als Hilfe bei Stress

Wir alle haben es bereits erlebt, den eigenen Ansprüchen oder fremden Ansprüchen nicht gerecht geworden zu sein. Wir erleben es als eigenes Versagen und machen uns Vorwürfe. Wir waren zu faul, zu dumm oder zu langsam. Wir waren nicht gründlich genug. Wir haben uns nicht genug angestrengt, haben uns zu sehr stressen lassen - die Varianten der Vorwürfe sind mannigfaltig. Und sogar in Situationen, in denen realistisch betrachtet niemand „alles“ hätte schaffen können, empfinden wir es als Versagen, wenn es uns genauso geht. Hier hilft Achtsamkeit. Denn das Innehalten und Hinterfragen der gesamten Situation lässt uns erst wahrnehmen, dass es absurd ist „alles“ schaffen zu wollen. Und es lässt uns auch die Ansprüche der anderen in das richtige Licht setzen. Wir können die äußeren Umstände (besser) erkennen, wenn wir mit etwas Abstand darauf blicken. Wir müssen uns dann nicht mehr von äußeren Stressoren emotional treiben lassen. Wir können Prioritäten setzen und Dringliches und Wichtiges definieren. Wir können einen realistischen Plan entwickeln und Aufgaben angemessen verteilen. Absolut notwendig dafür ist, innezuhalten, ruhig zu werden, Stresshormone abzubauen. Und wir können in der Katastrophensituation auf unsere Befindlichkeiten und Mehrbelastungen Rücksicht nehmen. Dieses notwendige Innehalten gelingt mit Achtsamkeitsübungen.

Wie funktioniert das?

Welche Abläufe und Handlungen mensch dabei helfen, Achtsamkeit zu erlangen, kann ganz unterschiedlich sein. Meditation kommt ebenso in Betracht wie autogenes Training und Yoga. Andererseits kann auch ein schneller Sport den gewünschten Effekt erzielen (zB Joggen oder Boxen). Es kann das Trinken der Tasse Kaffee und das damit verbundene Schauen ins Leere oder Starren aus dem Fenster sein. Und es können Atemübungen sein oder der Spaziergang durch den Wald. So individuell Menschen sind, so verschieden sind ihre Achtsamkeitsrituale. Es kommt nicht darauf an, was mensch äußerlich tut, sondern darauf, was innerlich-geistig im Menschen passiert.

Ebenso unterschiedlich wie die Wege, die zu Achtsamkeit führen, sind auch die Inhalte, mit denen sich Menschen innerlich-geistig beschäftigen. 

  • Die eigenen Körperfunktionen sind ein beliebter Fokus, denn sie stellen eine sehr direkte Verbindung zu sich selbst dar und Fehlinterpretationen sind nahezu ausgeschlossen. Außerdem sind kaum Risiken damit verbunden, sich auf die eigenen Körperfunktionen einzulassen und sie zu beobachten. Diese Achtsamkeit kann überall in kurzer Zeit durchgeführt werden und ist gut geeignet, schnell einen klaren Kopf zu bekommen und Stresshormone abzubauen. Daran anschließend kann mensch mit klarem Kopf rationale Entscheidungen treffen.
  • Etwas abstrakter ist der Fokus auf die eigenen Emotionen. Ein Mensch der sich in der achtsamen Wahrnehmung der eigenen Gefühle übt, muss besonders darauf achten, sich selbst so anzunehmen, wie er ist. Wenn mensch auf als unangenehm empfundene Gefühle trifft, sollen diese weder vertieft noch verdrängt werden. Sie sollen lediglich distanziert beobachtet werden. Distanz zu den eigenen Emotionen aufzubauen, fällt vielen Menschen schwer. Es besteht dann die Gefahr, unliebsame Gefühle auszublenden oder umzudeuten - oder sich so in sie hineinzusteigern, dass eine depressive Verstimmung oder eine Angststörung daraus erwachsen kann. Das alles gilt es zu vermeiden. Nur ein reines wertfreies Beobachten der eigenen Gefühlswelt entspricht dem Achtsamkeitsansatz.

Was ist wirklich wichtig zu beachten?

Es ist immer wieder zu lesen, es könne beim Achtsamkeitstraining nichts falsch gemacht werden - und im Großen und Ganzen ist das korrekt. Es ist lediglich ein Punkt zu beachten: niemals, wirklich niemals, sollten belastende Emotionen oder Ereignisse einen großen Fokus bekommen. Es spricht nichts dagegen - und ist sogar ausdrücklich erwünscht, auch als negativ empfundene Gefühle kommen und gehen zu lassen und sie distanziert zu beobachten. Darum geht es ja gerade bei der Achtsamkeit. Denn ohne zu wissen, was mich belastet, kann ich die Belastung nicht herunterschrauben. Es ist aber schädlich, diesen Gefühlen eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken und sich auf sie einzulassen oder in ihnen zu verweilen. Denn je häufiger wir uns auf etwas Belastendes fokussieren, desto intensiver und andauernder belastet es uns und das kann krank machen. Deshalb ist es sehr wichtig, mit innerer Distanz auf die belastenden Emotionen zu blicken, ohne sie zu verdrängen oder umzudeuten. Wem das nicht gelingt, der sollte entweder seine Achtsamkeitsübungen professionell begleiten lassen und allein zunächst nur körperliche Achtsamkeit üben.

Muss ich alles aufschreiben?

Das Achtsamkeitstagebuch wird von vielen Menschen als hilfreich empfunden und verstärkt oft die Wirkung der Übungen. Achtsamkeit funktioniert aber auch ohne schriftliche Niederlegung der eigenen Erfahrungen. Auch hier gilt: die individuelle Umsetzung folgt den Vorlieben des Menschen, der Achtsamkeit praktiziert.

Kann man das Prinzip in der Arbeitswelt anwenden?

„Achtsamkeit in der Organisation“ ist ein umstrittenes Feld. Kritiker befürchten z. B., Menschen würden dadurch noch stärker in ein „funktionieren müssen“ getrieben. Tatsächlich birgt ein „wirklich“ achtsamer Führungsstil diese Gefahr nicht. Denn er passt die Arbeitswelt an die wahren Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen an - sowohl was die äußeren Arbeitsbedingungen angeht, als auch was die Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitarbeiter:innen betrifft. Das setzt bspw. voraus, dass Prozesse und Vorgaben immer wieder auf ihre individuelle Verträglichkeit hin geprüft werden. Auch der achtsam-empathische Führungsstil weicht weitestgehend vom klassischen hierarchiebezogenen Führen ab und er bedarf einer Führungskraft, die selbst achtsam mit sich umgeht.

In Zeiten einer nationalen Katastrophe gehört zum achtsamen Führen auch dazu, sich klarzumachen, dass Mitarbeiter:innen auch von der Pandemie betroffen sind. Davon auszugehen, dass sie weiterhin im gleichen Maße leistungsfähig sind, wie vor der Pandemie ist nicht nur unrealistisch, sondern verschlechtert sogar ihre Leistungsfähigkeit. Es setzt eine Abwärtsspirale ein, die die Negativfolgen der Pandemie nur noch verstärkt. Sinnvoller ist es, die Produktivitätsanforderungen herunter zu schrauben und statt dessen resilienzfördernde Angebote zu machen - den einzelnen Mitarbeitern ebenso wie den Teams. Diese Investition erhält nicht nur weitestgehend die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter:innen, sondern sie führt auch zu einer emotionalen Bindung der Mitarbeiter:innen an ihr Unternehmen. Für Unternehmen gibt es kaum einen sinnvolleren Zeitpunkt, in die psychische Gesundheit der eigenen Mitarbeiter:innen zu investieren, als mitten in einer Katastrophe. Insofern kann es für ein Unternehmen bspw. sogar sinnvoll sein, den Eltern in der Belegschaft Hilfestellung beim Homeschooling zu geben, obwohl das auf den ersten Blick nicht das Unternehmen betrifft.

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Tipps gegen depressive Verstimmung

Berichte über psychische Auswirkungen von Corona und Depression / depressive Verstimmung

  • "Wie Corona uns psychisch fertig macht" von MrWissen2go (Funk)
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  • "Das komplette Interview mit Dr. Ernst Munz" (Bundespsychotherapeutenkammer) von MrWissen2go Exklusiv (Funk)
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  • "Wie depressive Menschen die Corona-Krise nutzen können, ihr emotionales Befinden zu verbessern" (Studienlage: ab Minute 22:00)
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